Taiwan – ein Land wagt direkte Demokratie

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Taiwan hat ein Referendumsgesetz, das landesweite Volksabstimmungen möglich macht. Ein Gespräch mit Caroline Vernaillen von Democracy International über die bisherigen Erfahrungen, die das Land mit der direkten Demokratie gemacht hat.

Wie ist das Referendumsgesetz in Taiwan im internationalen Vergleich einzuordnen?
Vernaillen: Taiwan ist kein Unikum. Es gibt ungefähr 117 Demokratien auf der Welt. Davon haben 113 irgendein Instrument, mit dem sich Bürger*innen auf nationaler Ebene beteiligen können. Die Instrumente sind natürlich überall anders gestaltet. Was Taiwan in Ostasien besonders macht – das Referendumsgesetz ist sehr weitgehend. Bürger*innen können selbst Initiativen vorschlagen und auf den Abstimmungszettel bringen.

Was sind die ersten Erfahrungen in der Praxis. Welche Themen bringen die Bürger*innen ein?
Vernaillen: Das Referendumsgesetz gibt es schon fast 20 Jahre. Aber letztes Jahr wurden die Hürden für die Beteiligung gesenkt. Wo man vorher ungefähr 90.000 Unterschriften brauchte, reichen jetzt 1.000 Unterschriften damit die Wahlkommission sich mit dem Vorschlag beschäftigt. Das heißt, dass sie letztes Jahr unglaublich viele Vorschläge bekommen haben. Bei dem ersten Referendum unter dem neuen Gesetz gab es zehn Fragen. Davon drehten sich fünf Fragen um die Ehe für alle. Das war so, weil 2017 das taiwanesische Verfassungsgericht entschieden hat, dass die Ehe für alle zugelassen werden muss. Das hat dazu geführt, dass die meisten Fragen sich dagegen oder für eine Einschränkung ausgesprochen haben.

Es haben schließlich sieben Millionen Bürger*innen dafür gestimmt, dass die Ehe für Mann und Frau vorbehalten ist. Ist das eine relevante Beteiligung?
Vernaillen: Es ist eine relevante Größe. Die Hürden in Taiwan sind ziemlich hoch –  25 Prozent der Wahlberechtigten müssen sich für einen Vorschlag aussprechen, damit er angenommen wird. Die wichtigere Frage ist, hätte dieses Thema überhaupt zur Abstimmung kommen sollen? Es lag ein Verfassungsgericht-Urteil vor, dass so ein Gesetz verfassungswidrig sein würde. Mit einer normalen Gesetzesänderung ist es nicht möglich, die Ehe für Mann und Frau vorzubehalten. Das muss eine Verfassungsänderung sein. Das heißt, dass man eigentlich diese Fragen nicht hätte annehmen dürfen.

Also wäre eine Erkenntnis, dass es entscheidend ist, wie welche Fragen überhaupt zur Abstimmung kommen. Was würdet ihr als Organisation für diesen Prozess empfehlen?
Vernaillen: Es gibt manche Rahmenbedingungen, die es schwieriger machen, direkte Demokratie gut umzusetzen. Letztes Jahr als in Taiwan abgestimmt wurde, waren gleichzeitg Lokalwahlen. Das führte dazu, dass politische Parteien Interesse daran hatten, ihre Themen auf die Agenda zu setzen. Das ist nicht so gut. Wenn man über Sachfragen entscheidet, sollte man jeden parteipolitischen Einfluss minimalisieren. Das ist aus der Praxis weltweit eine Erfahrung, die man gemacht hat. Direkte Demokratie sollte von politischen Wahlen entkoppelt werden. Auch die taiwanesische Wahlkommission und die Regierung haben ganz klar ihre Schlussfolgerungen daraus gezogen und entschieden, dass ab jetzt die Abstimmungen in den Jahren stattfinden werden, in denen es keine Wahlen gibt. Das ist eine sehr gute Sache.

Caroline Vernaillen (Democracy International) ist am Aufbau eines weltweiten Demokratie-Netzwerkes beteiligt. Foto: privat

Das Referendumsgesetz hat letztes Jahr auch die Hürde gesenkt, dass sich nur noch 25 statt früher 50 Prozent der Wahlberechtigten für einen Vorschlag aussprechen müssen. Wie wichtig ist es, dass die Hürden für direkte Demokratie niedrig sind?
Vernaillen: Alle Referenden sind früher an der 50-Prozent-Hürde gescheitert. 25 Prozent sind immer noch hoch. Vor allem wenn man es jetzt unabhängig von den Wahlen macht, sind die Menschen weniger dazu bewegt, zur Abstimmung zu gehen. Das ist nicht unbedingt problematisch. Manchmal werden Fragen gestellt, die einen nicht interessieren oder woran man nicht unbedingt teil hat. Das Wichtige ist, dass jeder die Möglichkeit hat, sich zu beteiligen. Das jeder, der von einer Entscheidung die Konsequenzen tragen muss, sich dazu äußern kann. Deswegen ist es natürlich besser, Hürden zu haben, die so niedrig wie möglich sind. Damit man auch keine Boykott-Strategien zulässt. So dass man die Wähler*innen nur überzeugen muss, zuhause zu bleiben, weil die Abstimmung nicht wichtig wäre. Aber sie sind dann nicht gegen den Vorschlag, sondern beschäftigen sich nur nicht mehr damit.

Eine grundsätzliche Frage zum Schluss. Warum ist politische Partizipation so wichtig?
Vernaillen:

Das Gespräch fand bereits am 31. August 2019 statt.

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