Das zivilgesellschaftliche Bündnis „Citizens Take Over Europe“ hat zehn Leitlinien für transnationale Bürger*innenräte veröffentlicht. Die Empfehlungen basieren auf Erfahrungen von nationalen und lokalen Bürger*innenräten in ganz Europa und wurden in Zusammenarbeit mit diversen Expert*innen entwickelt. Gegenwärtig sollen die Leitlinien eine Grundlage für die Konferenz über die Zukunft Europas bilden. Sie sind aber auch für künftige Versammlungen der EU-Bürger*innen konzipiert, denn das Bündnis sieht in transnationalen Bürger*innenräten ein geeignetes Instrument, um die Demokratisierung der Europäischen Union (EU) voranzutreiben.
10 Leitlinien für transnationale Bürger*innenräte
1. Partizipative Voraussetzungen
Partizipative Instrumente sind die Grundlage für einen demokratischen Bürger*innenrat. Umfang und Struktur wie die Geschäfts- und Tagesordnung sollten von den Teilnehmer*innen festgelegt werden. Das Engagement der Bürger*innen kann gestärkt werden, wenn zusätzlich Online-Vorschläge zu den relevanten Themen eingebracht werden können.
2. Inklusive Auswahl
Mitglieder eines transnationalen Bürger*innenrates müssen per Los ausgewählt werden, damit alle Einwohner*innen Europas die gleiche Chance haben, teilnehmen zu können. Eine weitere Auswahl soll soziodemografische Quoten erfüllen und einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft sicherstellen. Zu den relevanten Kriterien gehören beispielsweise Alter, ethnische Zugehörigkeit, Religion, sozioökonomischer Status sowie städtischer oder ländlicher Hintergrund. Darüber hinaus können in einer Stichprobe auch unterschiedliche Einstellungen gegenüber der EU berücksichtigt werden, die von sehr positiv bis sehr negativ reichen.
Zum Ausgleich ihrer Zeit müssen die Teilnehmer*innen eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten. Reise- und Unterbringungskosten sowie gegebenenfalls Ausgaben für die Kinderbetreuung sind zu erstatten.
3. Ergebnisse und Wirkung
Bürger*innenräte müssen so gestaltet sein, dass die Ergebnisse sich nachhaltig auf die Politikgestaltung der EU auswirken. Ein symbolisches Beratungsprojekt würde das Vertrauen der Bevölkerung in die EU-Institutionen schwächen. Daher muss von Anfang an klar sein, dass die Bürger*innenräte nach Übergabe ihrer Empfehlungen an die EU-Institutionen wieder zusammentreten, um den Umsetzungsprozess zu überprüfen (Follow-up-Verfahren).
4. Themensetzung „von unten“
In ganz Europa sollten alle Bürger*innen – von den EU-Skeptiker*innen bis zu den EU-Freund*innen – aufgefordert werden, die dringendsten und relevantesten Themen in Bezug auf die EU und ihre Zukunft zu äußern. Für transnationale Bürger*inennräte muss es daher ein Verfahren geben, das die Themensetzung durch die Bürger*innen ermöglicht. Die EU-Institutionen sollten nicht „von oben“ das Themenspektrum einschränken.
5. Beratungen und Methoden
Bürger*innenräte werden von verschiedenen Expert*innen zu der ausgewählten Fragestellung beraten, damit eine Diskussion auf Augenhöhe möglich ist. In den Gesprächsräumen müssen sich alle Teilnehmer*innen sicher fühlen und die Möglichkeit bekommen, sich einzubringen. Nur mit ausreichend Zeit wird auch sichergestellt, dass die vielfältigen Standpunkte zu einem Thema eingebracht und berücksichtigt werden.
6. Transnationales Verständnis
Um die kulturelle, geografische und sprachliche Vielfalt der EU abzubilden, sollten nicht weniger als 300 bis 350 Bürger*innen am Format teilnehmen. Das erfordert eine angemessene Infrastruktur für den Ablauf und eine mehrsprachige Übersetzung der Beratungsrunden, Plenardiskussionen sowie aller Dokumente. Bürger*innen aus Nicht-EU-Ländern können als Beobachter*innen teilnehmen. Außerdem sollten EU-Bürger*innenräte mit nationalen und regionalen Formaten der Bürger*innenbeteiligung verknüpft werden.
7. Transparenz
Die Strukturen und Verfahren von Bürger*innenräten sowie die Methoden zur Entwicklung der Empfehlungen müssen transparent sein. Außerdem sollten die bereitgestellten Informationen von den Expert*innen für die Öffentlichkeit barrierefrei zugänglich sein. Dies ist wichtig, um das Vertrauen in den demokratischen Prozess zu stärken.
8. Rechenschaftspflicht
Bürger*innenräte haben eine beratende Funktion und verabschieden lediglich Empfehlungen. Politik und Verwaltung müssen dennoch verständlich darlegen, warum die erarbeiteten Maßnahmen möglicherweise nicht oder nur teilweise umgesetzt werden. Dazu braucht es auch ein Instrument, das den Bürger*innenräten ermöglicht auf die Entscheidungen der EU-Institutionen zu reagieren. Ein unparteiisches Koordinierungsgremium kann die Bürger*innenräte begleiten und den Umsetzungsprozess der Empfehlungen auswerten.
9. Sichtbarkeit
Damit Bürger*innenräte öffentlich sichtbar werden, müssen Politiker*innen und Journalist*innen informiert und eingeladen werden, um die Prozesse begleiten und darüber berichten zu können. Nur so kann auch eine breitere öffentliche Debatte stattfinden.
10. Kontinuität
Die repräsentative Demokratie in der EU kann durch transnationale Bürger*innenräte nur langfristig gestärkt werden, wenn das Format fortlaufend genutzt wird und über genügend Ressourcen verfügt. Die Institutionalisierung von Bürger*innenräten wäre ein Beweis dafür, dass die Staats- und Regierungschefs der EU den politischen Willen haben, die Bürger*innen an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen – nicht nur in Krisenzeiten.
Darüber hinaus betonen die Autor*innen der zehn Leitlinien für transnationale Bürger*innenräte den Wohlfühlfaktor. Es sind attraktive Anreize nötig, um die Teilnehmer*innen zu motivieren, den Prozess über die ganze Zeit mitzugestalten. Zu diesen Anreizen gehören Zeit für Geselligkeit und Vergnügen wie gemeinsame Mahlzeiten oder Unterhaltungs- und Kulturveranstaltungen.
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